Tagebuch von Bernhardine Alma, SFN NL 9

Vorstellungen und Konzepte von Ehe


In den Selbstzeugnissen besonders junger Schreiberinnen und Schreiber werden traditionelle Vorstellungen und Konzepte von Ehe besprochen, teilweise modifiziert, aber auch fortgeschrieben:


Bernhardine Alma (geb. 1895)

Von Bernhardine Alma, einer 1895 geborene Wienerin aus gutbürgerlichem Haus, wurden der Sammlung Frauennachlässe insgesamt 47 Tagebücher übergeben. Als zwanzigjährige entwirft sie ihre eigenen Vorstellungen vom Verheiratetsein, die auf bestehende Ehekonzepte und Rollenbilder Bezug nehmen, diese aber gleichzeitig durchbrechen und sogar ins Phantastische wenden:

3. Juli 1915. (...) Ich will heiraten:
1. daß ich zum Theater kann
2. daß ich frei über mich verfügen kann
3. daß ich überhaupt frei bin
4. daß ich einteilen kann
5. daß ich ein ordentliches Leben führen kann
6. daß alles anders ist
und dann, daß ich, wenn ich will, die heiligen Sakramente empfangen kann. Mein Gatte muß
1. mich zum Theater lassen
2. mich tun lassen, was ich will
3. reich sein
4. in mich verliebt sein, (aber geistig lieben)
5. adelig sein und womöglich ein Schloß haben
6. groß, schlank, sehr elegant sein.
Ich will einmal kein gemeinsames Schlafzimmer haben. Erstens aus Anstand nicht und zweitens, um auch da tun zu können, was ich will, schlafen gehen und aufstehen, wann ich will, im Bett lesen, alles. (...
)


Walter Schöffer (geb. 1885)

Der zweiundzwanzigjährige Walter Schöffer, 1885 in Budapest geboren, war 1907 als Söldner in Deutsch-ostafrika, dem heutigen Tansania, stationiert. Von dort schreibt er an seine ältere Schwester in Wien. Der im Text genannte Lajos ist Walter Schöffers älterer Bruder und Vormund.

9. Juni 1907. Liebste Emmy! (...) Durch das trostlose und einsame Leben hier heraussen bin ich direct heiratslustig geworden, und ich bin fest entschlossen mich, wenn ich in einem Jahre auf Urlaub fahre (...) zu verheiraten; vorausgesetzt, daß Lajos sich einverstanden erklärt und daß ich überhaupt eine Frau finde. Und darum wend ich mich an Dich l.(iebe) Emmy mit der Bitte, erstens den Lajos so langsam zu bearbeiten und zweitens Dich auch etwas umzuschauen, ob Du nicht etwas passendes findest. Was den materiellen Standpunkt betrifft, der ja dabei die Hauptsache ist, so dürfte ich nächstes Jahr eine Gehaltsaufbesserung (...) bekommen (...) Ferner bekäme ich vom auswärtigen Amt einen namhaften Beitrag für die Ausreise meiner eventuellen Frau (...) denn es wird gerne gesehen, wenn Verheiratete heraussen sind. (...) [Auch] bekäme (ich) eine vollkommen eingerichtete Dienstwohnung. Was ich nun für eventuelle Ansprüche an meine Frau stellen würde, so fassen sich diese in dem einen Wort zusammen: häuslich. (...) Etwas Geld kann sie ja auch natürlich haben, das ist umso besser.