Beschreibbare und unbeschreibbare Ehe-Alltage
Selbstzeugnisse sind auch von Schweigen geprägt. Die Gründe dafür können die Unaussprechlichkeit bzw. Unbeschreibbarkeit verschiedener Themen, Selbstzensur oder politische Repression, etwa von Seiten der staatlichen Zensur während der Weltkriege, sein:
Irma Huppert (geb. geb. 1889)
Im Nachlass der Familie Huppert sind gut 40 Schreiben archiviert, die eindrücklich die Situation einer jüdischen Familie im nationalsozialistischen Wien schildern. In den Briefen an den in Belgien internierten Sohn Leopold und die nach London emigrierte Tochter Franziska Huppert beschreibt Irma Huppert im Jahr 1939 ihren zunehmend eingeschränkten Lebensraum, die Versuche der Emigration und ihr Wissen um die drohende Deportation. Die Lektüre dieser Korrespondenz ist besonders beklemmend, da die unmittelbare Gefahr, der die Schreiberin ausgesetzt gewesen ist, niemals direkt angesprochen wird, aber latent mitklingt. Weder die Schreiberin, noch ihr Ehemann und Sohn haben den Holocaust überlebt. Die Briefempfängerin lebt heute in den USA.
[ohne Datum, 1939.] (...) Bei uns wohnen jetzt eine 3 Köpfe Familie die sehr viel Besuch bekommen, geht jetzt bei uns zu wie in einem Gasthaus. Eine große Meschpoche, were froh von hir weg zu sein. Wir wohnen im Schlafzimmer. (...)
[ohne Datum, 1939.] (...) Morgen soll Papa zur Kultusg.[emeinde] gehen zur Untersuchung wegen Polen, wir müssen alle nach Polen, heute hat Papa den Bogen erhalten. Es ist möglich daß ich auch mitfahre, denn allein lasse ich Papa nicht, nun ist die Möglichkeit vorhanden, das der Transport in 3 Tagen abgeht und so schnell kann man doch nicht alles verkaufen.
- Irma Huppert, Brief an die Kinder 1939, Sammlung Frauennachlässe SFN NL 36 (Beschreibung im Onlinekatalog)
- siehe dazu u.a. Traude Bollauf (2010)
Barbara Baumgartner (geb. 1851)
Irma Huppert hatte während des Zweiten Weltkrieges mit der staatlichen Zensur ihrer Briefe zu rechnen, was sich auf jeden Fall auf ihr Schreiben ausgewirkt hat. Das Schweigen über den schweren Ehealltag der Kremser Geschäftsinhaberin Barbara (Wetti) Baumgartner aus den 1870er und -80er Jahren steht in einem ganz anderen Zusammenhang: Ihr Ehemann Johann Baumgartner war Alkoholiker und gewalttätig. In ihren Tagebucheintragungen hat sie diese Erfahrungen zumeist aber nur angedeutet, manchmal auch chiffriert.
Ein schriftliches Festhalten dieser konkreten Erlebnisse schien für Wetti Baumgartner unmöglich gewesen zu sein. Dennoch gibt das Tagebuch auch Zeugnis von der Emanzipation der jungen Frau: Als sich die finanzielle Lage der Familie drastisch verschlechtert, beschloss die 25-Jährige, gegen den Willen des Ehemannes die Ausbildung zur Hebamme zu absolvieren:
Krems, am 23. Oktober 1876. (...) Ich trage mich ernstlich mit der Idee, Hebamme zu werden und auf diese Art für mein weiteres Fortkommen zu sorgen. Die Eltern geben mir ihre Zustimmung dazu (...) Vielleicht bin ich dann im Stande, leichter unser Brod zu verdienen, obwohl ich mir nicht verhehlen darf (...) wie beschwerlich dieser Verdienst ist, aber ich möchte beitragen zum Leben und mit der Zeit im Stande sein, vielleicht wieder in ruhigeres Leben führen zu können. (...) Johann will zwar nicht einwilligen in meinen Plan, aber er muß. Ich werde es mit Gottes Hilfe vollbringen. (...)
Krems, am 5. Februar 1877 (...) Mein Entschluß ist (...) noch fester geworden, obwohl Johann versuchte, ihn zu erschüttern. Er ist eifersüchtig und fürchtet, daß ich in dieser Lebenssphäre verdorben werde. Er sagte: Siehst Du, wir haben nur mehr das eine - unsere Liebe und das Glück der Häuslichkeit, wenn ich nach Hause komme. Soll mir das auch noch genommen werden? Wer weiß, ob dir dann nicht ein anderer besser gefällt, als ich. Ich fragte ihn, ob er mich nicht so weit kenne, ob ich noch größere Beweise meiner Liebe geben kann, als ich gegeben habe? Und ob es denn ein Spaß sei, was ich unternehme? Ob ich es zum Vergnügen thue? Oder für wen ich es thue?
Krems, am 1. März 1880 (...) Außerdem hat Johann so viel zu thun mit dem Haus und Keller, daß er fast nicht mehr im Geschäfte ist und das Herumlaufen sich angewöhnt, so daß es ihm zuhause gar nicht leidet. Dabei trinkt er fleißig und dann - doch nein, ich schweige, es ist besser so.
- Wetti Baumgartner, Tagebuch 1876/1877/1880, Sammlung Frauennachlässe SFN NL 13 (Beschreibung im Onlinekatalog)
- siehe dazu u.a. Nikola Langreiter (2010)
Viktor Podpera (geb. 1896)
Der Taxilenker Viktor Podpera war 1944 an der Ostfront stationiert. In seinen Feldpostbriefen an seine Ehefrau Anna und Tochter Ricki Podpera äußerte er sich mehrmals sehr kriegskritisch. Offenbar erwartete er keine Repressalien durch politische Zensur. Anna Podpera befürchtete hingegen, ihren Mann durch offene Schilderungen der Situation in Wien zu belasten:
Freitag 22. September 1944, 19h. Meine Lieben! Vorerst seid Beide recht herzlich von mir geküßt. Heute habe ich leider keine Post von euch bekommen, aber gestern habe ich mit Freude gleich drei Briefe von dir mein liebstes Mamscherl erhalten. (...) Die ersten zwei sind noch vor dem schweren Angriff vom 10. IX. und daher noch voll Freude und Zuversicht geschrieben, der 3. aber schon nach dem Angriff und daher voll Kummer und Sogen. Ich bin Dir aber deswegen nicht böse, mein liebes armes Mamscherl, im Gegenteil, du tust mir furchtbar leid, wenn ich Dir nur helfen könnte, gerne würde ich es tun. Ich könnte Dir doch niemals böse sein, wenn du mir dein Leid klagst, denn wo solltest du dir dein armes gutes Herz erleichtern wenn nicht bei mir, dazu bin ich doch Dein Mann. Nur tut es mir so leid, daß ich euch in keiner Weise helfen kann. (...)
- Viktor Podpera, Feldpostbrief 1944 (Beschreibung im Onlinekatalog)