Tagebuch von Theresia Vogt, 1971, Sammlung Frauennachlässe, SFN NL 12

Ein möglicher Ausweg: Ehebruch


Besonders dann, wenn es darum gehen soll, mögliche Widerstandsstrategien, Modifizierungen und Auswege aus gesellschaftlichen Normierungen zu beschreiben, können Selbstzeugnisse ungleich aussagekräftige Quellen sein. So auch in Bezug auf das Tabuthema Ehebruch. In den in der Sammlung Frauennachlässe archivierten Dokumenten kommen hier verschiedene Positionen zu Wort:


Johanna K. (geb. 1892)

Die Schneiderin Johanna K. war 27 Jahre alt und verheiratet, als sie sich gegen Ende des Ersten Weltkrieges in einen französischen kriegsgefangenen Offizier verliebte. Als dieser nach Paris zurückkehrte, versuchte sie, die Verbindung brieflich aufrechtzuerhalten. Die Abschriften dieser Liebesbriefe, die Johanna K. in ihr Tagebuch übertragen hat, spiegeln auch eindringlich wider, wie schwierig es gewesen sein muss, eine gesellschaftlich so brisante Liebe zu leben:

22. Jänner 1919. Bubi - Du mein Bubi! Zwei böse traurige Tage liegen hinter mir. Von meinem Manne bekam ich einen Eilbrief worin er mir wieder seine große Liebe zu Füßen legt und mich himmelhoch bittet zu ihm zurückzukehren. Er appelliert an mein edles Herz und an meine Barmherzigkeit - aber - ich muß alles von mir stoßen; und wäre es mein Verderben daß ich Dich fand - ich kann nicht anders - ich kann nie mehr von Dir lassen. (...) Und nun noch von so vielen Seiten meiner Verwandtschaft die Hohnreden, die mir wie spitze Messer in die Seele dringen: "Ach Du törichtes Mädel wart nur auf Deinen Franzmann, aber laß Dir die Zeit nicht lang werden!" (...) aber ich lächle - lächle siegesbewußt (...) Nur wenn ich allein bin finde ich die augenblickliche Lage so schmerzlich! Ach wie sehne ich mich nach Dir - nach Deinen schützenden Armen. Ob Du wiederkommen wirst? Ich zweifle nicht daran (...)


Theresia Vogt (geb. 1901)

Eine zweite Stimme gehört Theresia Vogt. Sie war Müllerin und Kleinbäuerin im Weinviertel. Knapp 70-jährig resignierte sie am Weihnachtstag 1971 in einer Tagebucheintragung über ihren Ehemann, der sie wegen einer anderen Frau verlassen hatte:

[Weihnachten 1971.] Am hl.[heiligen] Abend mutterseelenalleine, hab' ich das verdient? Fast d.[ie] ganze Nacht hörte ich Radio im Bett u. bekam sogar Kopfschm.[erzen] aus lauter puren Ärger (...) Ich sagte, warum ist d.[er] Ehebr.[echer] v.[om] Krieg heimgek.[ehrt]? 22 Jahre liegt + haust er schon} b.[ei] d.[er] Donnermännerhur in Wien. Warum muß ich immer soooblöd' weinen? Weil mich mein Ehebrecher z.[u] d.[en] Feiertage alleine ließ? U.[nd ich] mich sooo einsam fühlte wie noch nie zuvor, glaubt mir doch! Doch egal! Alles hat einmal ein jähes Ende, so Gott will! (...)


Bernhardine Alma (geb. 1895)

Als dritte Position kann Bernhardine Alma zitiert werden. 1938 ist die Wienerin aus gutbürgerlichem Haus 43 Jahre alt, freischaffende Schriftstellerin und unverheiratet. Der Privatlehrer P[...], der ihr in ihrer Wohnung Englischunterricht gab, kam ihr dabei körperlich näher. Sie war nun hin- und hergerissen zwischen ihren moralischen Ansprüchen und dem Wunsch, die Sorgen ihrer Zeit zu vergessen:

17. März 1938, Donnerstag mittags. (...) Ein Lichtblick ist u. war der P[...] (...) Er erklärte mir stets wieder wie lieb er mich hat - freilich, dann wurde er auch über die Maßen leidenschaftlich, aber ich wehrte ihn an ab wegen der Sünde. (...) Er findet unbeschreiblich liebe Worte. Wenn er nicht gleich so leidenschaftlich werden würde, so möchte ich wohl ganz ruhig neben ihm sitzen - u. vergessen, wie schwer die Zeit ist. (...) Mein Gott, es gibt doch tausendmal Wichtigeres, als die Liebe zwischen Mann u. Frau - u. was er will. ist doch ganz gewöhnlicher Ehebruch. - Ich will doch nicht sündigen! - Ich sündige ohnedies so viel. - Hl. Schutzengel, bitte, hilf mir!